Arbeit mit dem inneren Kind


Beitrag von Gastautor*in Franzi
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Ich bin ein sehr fröhlicher und aufgeschlossener Mensch.

Stabil wirke ich. Das sagt man mir immer wieder.

Ich und psychische Probleme? Ja wenn, dann doch aber nichts weiter Gravierendes, oder? Schlecht drauf ist doch jeder mal.

Ein Auftreten, was ich im Laufe der Zeit wohl fast perfektioniert habe. Klar kann ich durchscheinen lassen, wenn ich genervt oder sauer bin, aber meine echten Emotionen? Die tief in mir drin?

Nope. Da gibts kein rankommen. Nicht mal für mich selbst.

Auf der analytischen, kognitiven Ebene kann ich ganz viel erklären. Ich kann mitteilen ob ich gerade Angst empfinde oder warum ich traurig bin. Was mich stört und was ich brauche und was nicht. Hört sich doch super an, oder? Wie ein ganz normaler Mensch.

Aber ich kann all das nicht fühlen.

Ich kann wie ein Computer abrufen, welche Emotion da gerade aufploppt. Ich kann sie analysieren, drehen und wenden, aber ich bekomme keinen Zugang zu ihr. Sie ist da und ich kann sie ansehen und darüber sprechen, dabei ist sie so weit weg, dass sie kein Teil von mir zu sein scheint.

In der Therapie stocken wir deshalb, weil ich immer nur erzählen will was ich kognitiv erlebe und wahrnehme (das was ich eben gut kann), aber dafür blockiere ich jeglichen Weg zu meiner Innenwelt.

Doch gerade beim Trauma ist es wichtig, die rechte (das Fühlen) und linke (das kognitive Wahrnehmen/Verarbeiten) Gehirnhälfte wieder miteinander zu verknüpfen.

Aus diesem Grund schlug meine Therapeutin vor, dass wir mit der inneren Kindarbeit starten.

Dies ist eine Imaginationsübung, wo du quasi den Gefühlen, die tief in dir drin leben, eine Form gibst. Seelische Verletzungen, welche wir im Kindesalter erlebt haben, bleiben in Form entsprechender Gefühle, Emotionen und Empfindungen in uns gespeichert.

Bei dem Modell der inneren Kindarbeit stellen wir uns jetzt ein Kind vor, mit welchem wir auch interagieren. Dieses Kind kann uns ansehen, mit uns reden oder sogar um etwas bitten. Es bezieht sich jedoch nicht auf ein echtes Kind bzw. einen autonomen, abgespaltenen Anteil in uns, sondern ist die Manifestation unserer inneren Gefühlswelt.

Wir lernen dadurch also quasi wieder hinzusehen. Nach Innen. Nicht immer nur nach Außen, so wie es oft gerade bei psychischen Erkrankungen der Fall ist. Wir lernen unsere Gefühle anzusehen, statt uns von ihnen abzulenken.

Erst war ich davon gar nicht begeistert. Ich hielt das für Schwachsinn. Ich ging davon aus, dass ich mir da ein Kind imaginiere und alles was es sagt selbst erfinde. So wie man das eben oft bei einem Tagtraum macht. Also wozu das Ganze überhaupt probieren?

Aber das war nicht alles. Mir graute es davor die Augen vor meiner Therapeutin zu schließen. Klar, das habe ich schon mal gemacht, als wir die ,Sichere-Ort‘ Übung gemacht haben, aber da musste ich nur zuhören. Jetzt sollte ich ihr aber laut erzählen was ich wahrnehme und was das Kind sagt. Wie intim! Und das alles mit geschlossenen Augen! So kann ich doch gar nicht sehen, was um mich herum geschieht.

Außerdem hatte ich so furchtbare Angst etwas falsch zu machen. Vllt. lacht sie dann heimlich über mich, weil ich mich so dumm anstelle?

Und dem Kind sollte ich auch noch laut antworten! Einem imaginierten Kind! Ich sollte diesem Kind erzählen was ich über es denke und fühle.

Wie lächerlich, empfand ich.

Und dann, am Ende war es gar nicht so schlimm.

Die Begegnung mit dem inneren Kind war jedoch sehr emotional. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so viel weinen muss (und das vor jemand anderem!) und auch meine extreme Anspannung in den Muskeln bemerkte ich erst, als ich später wieder aufstand. Herrje tat das alles weh!

Ich hatte große Probleme das innere Bild zu halten und ich wollte immer wieder weg. Dem Kind bloß nicht zu nahe kommen, was mir dann wiederum so leid tat.

Das nächste Mal war auch sehr emotional, aber die Kleine interagierte mehr mit mir. Sie sprach auch da nicht, aber sie reagierte und sie schaute mich an. Wie unendlich viel Traurigkeit in ihrem Blick lag! Ich wollte sie so gern in den Arm nehmen, aber es ging einfach nicht. Und ich konnte das Mädchen auch nicht irgendwas sprechen oder sie einfach fröhlich sein lassen. Wie absurd, oder? Man kann bei seiner eigenen Imagination nicht agieren wie man will.

Also ist an diesem Modell der inneren Kindarbeit vllt. doch etwas dran? Denn die inneren Gefühle lassen sich schließlich nicht hin und her schubsen, wie es der Verstand gerne hätte.

Wir hörten uns die Tonaufnahme dazu, das Mal darauf, an. Immer wieder schämte ich mich für meine ,,weinerliche Art“. Wut kam auf. Wut weil ich mich so ,,erbärmlich“ verhalten habe. Weil ich die Kleine nicht einfach in den Arm nehmen konnte. Weil sie doch die ist, die jemand braucht, während ich ,,rumjammere“. Dazu habe ich gar nicht das Recht, dachte ich mir. Zu jammern. Zu weinen. Das Gefühl ein Versager zu sein schoss in den Vordergrund. Mitleid mit der Kleinen. Mitleid mit mir (der Großen, während der Aufnahme), weil ich auch so traurig wirkte. So verzweifelt. Dann wieder Wut. Wut auf diese furchtbar weinerliche Art: ,,Man weint nicht vor anderen! Man weint überhaupt nicht! Man muss stark sein.“ Es war eine wilde Achterbahn an Gefühlen. Gefühle die sich im Minutentakt abwechselten. Niemals im Leben hätte ich solche Reaktionen oder Gedanken für möglich gehalten. Denn in meiner Welt ist doch immer alles tutti!

Zuhause setzte ich mich dann nochmal hin und ließ mir all meine Emotionen, während dieser Therapiestunde, durch den Kopf gehen. Ich nahm mir einen Zettel und schrieb einfach auf, was mir in den Kopf schoss. Das war das erste Mal für mich, dass ich deutlich wahrnehmen konnte wie etwas in mir, uns wirklich wahrnimmt. Ich selbst bin mit meinem Körper recht zufrieden. Ich empfinde auch irgend so etwas wie Selbstliebe, auf irgendeiner Ebene zumindest. Aber da wurden Äußerungen des puren Selbsthasses deutlich. Das Gefühl, das nur toxische Menschen verdient hätten, die einem weh tun. Der Wunsch sich die Haut vom Körper zu ziehen. Ekel. Dieser extreme Ekel vor sich selbst. So viele Emotionen und Gedanken, die ich nie zuvor in diesem Ausmaß wahrnahm. Die ich immer wieder verdrängte und nicht wahrnehmen wollte. Vielleicht auch nicht konnte.

Auch jetzt sind sie wieder weit weg. Sie sind notiert. Auf einem Zettel, schwarz auf weiß. Auch in meinem Kopf. Wieder kann ich sie beschreiben, aber nicht mehr fühlen. Das war nur ein kurzer Augenblick.

Aber eben dieser Augenblick hat mir gezeigt, welch dicke Maske ich mir doch aufgesetzt habe. Wie viel da doch im Verborgenen schlummert und was ich nicht länger ignorieren darf. Immerhin darf ich doch all diesen Schmerz in mir nicht alleine lassen, oder? Das wäre irgendwie gemein.

Ich glaube die Arbeit mit dem inneren Kind könnte ein wichtiger Schritt für mich werden, zu lernen das es in mir viel mehr Gefühle gibt, als meine oberflächliche Alltagsmaske wahrnimmt. Und zu lernen mich demgegenüber vor allem auch zu öffnen.

Ohne dass ich nicht endlich die Schranke zu meiner Innenwelt aufmache (wenigstens ein Stück), ist nämlich, glaube ich, kaum weitere Traumatherapie möglich. Und so schwierig all das auch ist, ist es irgendwo auch etwas Schönes. Es ist schön zu sehen, dass es vorwärts gehen kann – wenn es auch nur Millimeterschritte sind.

Franzi


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Hallo alle zusammen!
Ich bin Franzi und betroffen von einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung, einer Angststörung, sowie einer dissoziativen Störung.
Auch Depressionen begleiten mich schon fast mein ganzes Leben. Mal sind sie besser, mal etwas schlechter, so wie auch z.Z. Dennoch habe ich diese Momente, wo die Depression einmal Urlaub hatte, noch im Kopf. Da will ich wieder hin und dieser Gedanke gibt mir auch immer wieder die Kraft und Hoffnung irgendwie weiter zu machen.

Von Martin Luther King gibt es dazu auch ein tolles Zitat, was mir in schweren Zeiten oft extrem hilft:

„Wenn du nicht fliegen kannst, laufe. Wenn du nicht laufen kannst, gehe. Wenn du nicht gehen kannst, krieche. Aber was auch immer du tust: Mach weiter!“

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Paleica sagt:

    ich hab sehr sehr ähnliche erfahrungen gemacht wie die die du beschreibst… nach außen hin denkt keiner, was da drin steckt, alles kongnitiv beschreiben, bloß nicht fühlen.. aber wenn man die tür zu dem kind aufmacht, dann ist es überwältigend, was da alles ist… es ist ein weiter weg das zu lernen, das „nachbeeltern“.. aber ich denke, es ist das einzige, das wirklich heilen kann.

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