Der Fall Winterhoff und warum er uns alle betrifft!


Beitrag von Maya
⏱ Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten
Beitragsbild von George Becker von Pexels.com

Ich habe mich 2019 im Rahmen meiner Tätigkeiten als Sozialarbeiterin und als Beraterin für gewalt- und diskriminierungsarme Umgangsweisen mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Michael Winterhof auseinandergesetzt.

Ihr wisst nicht von wem ich da gerade spreche bzw. um welches Thema es geht?
Dann seht Euch vllt. die neue Dokumentation „Vorwürfe gegen Kinderpsychiater – Das System Dr. Winterhoff | WDR Doku“ an…

Vorwürfe gegen Kinderpsychiater – Das System Dr. Winterhoff | WDR Doku // YouTube Kanal: WDR Doku

Als ich das erste Mal mit diesem Menschen und seinen Vorstellungen über YouTube in Kontakt kam, war ich schockiert!
Die offene Propagierung von Gewalt und tausende Menschen, die dieser Aufforderung blindlinks folgten.
Es gab hunderte von YouTube Videos – die nun zum größten Teil verschwunden sind. In den Kommentaren unter diesen Videos wurde eine so große Hommage auf diesen Arzt gesungen, dass es schwer verständlich für mich mit meinem Hintergrundwissen im Bereich Entwicklungspsychologie, frühkindliche Entwicklung, Gewaltforschung (…) war, dass dieser Arzt und viele pädagogische Fachkräfte so handeln wollten/konnten/durften!

Aber auch ohne dieses Fachwissen braucht es nicht mehr als einen gesunden Menschenverstand – der nicht obrigkeitshörig ist und reflektiert mit eigenen traumatischen Kindheitserfahrungen umgeht – und ein emphatisches Einfühlen in die eigene Kindheit, um zu erkennen, dass seine Erziehungsempfehlung geprägt ist von Unterdrückung und Gewalt.

Wer würde gerne so behandelt werden – als Kind oder als erwachsene Person?

Wie in der oben aufgeführten Reportage des WDR richtig zusammengefasst wird, wirken unterdrückende und gewaltvolle Erziehungsmethoden und Umgangsweisen vor allem entlastend für Erziehungsberechtigte bzw. ausübende Personen, die nicht zu einem gewaltarmen und damit beziehungsorientiertem Umgang fähig sind.

Bereits 2019 konnte ich in seinem Referat „Seine Majestät das Baby“ erahnen, dass viele seiner Argumentationen aus eigenen traumatischen Erfahrungen seiner Kindheit stammen müssen. Heute, also 2021 mit einer Weiterbildung im Bereich Traumapädagogik, kann ich dies nur noch einmal unterstreichen. Menschen, die Kindern von Natur aus Tyrannei unterstellen, wären gut beraten sich in Selbstreflektion zu üben und an eine Traumatherapie zu denken. So könnte es zu einer präventiven Verhütung der Weitergabe von Traumata an neue Generationen kommen. Dabei können beziehungsorientierte Umgangsformen erlernen werden, die vielen Menschen mit oben aufgezeigten Verhaltensweisen höchstwahrscheinlich verwehrt blieben in ihrer Kindheit und Jugend. Dies betrifft ebenfalls alle anderen Menschen, die zu übergriffigen und gewaltvollen Verhaltensweisen neigen, um ihre persönlichen Werte, Normen und Ziele durchzusetzen.

Aber es geht nicht nur um einen Arzt! Es geht um die grundsätzliche Haltung, dass gewaltvolle Erziehungsmethoden, einschließlich emotionaler Gewalt ggü. Kindern, in Ordnung sind und als fachlich fundierte Methoden dargestellt werden. Und das entspricht in keinerlei Weise dem jüngeren fachwissenschaftlichem Standard.

Damit möchte ich ein allgemeines Problem in unserer Gesellschaft ansprechen. Wir sind erwachsen aus Generationen, die zum großen Teil mit gewalt- und diskriminierungsvollen Methoden erzogen wurden. Dadurch bildet sich in uns ein Normen- und Wertekanon, in dem die erfahrene Gewalt und Diskriminierung als normalisierte Verhaltensweisen weiterleben und weitergegeben werden. Es gibt viele blinde Flecken – bei jedem von uns. Gerade in Deutschland hat die militarisierte und nationalsozialistische Erziehung, Bildung und Sozialisation enorme Schäden für viele weitere Generationen hervorgebracht! Siehe hierzu z.B. die generationsübertragende Prägung durch Johanna Haarer als nationalsozialistische Ideologin. Der damit einhergehende Verlust der Emotions-, Bindungs- und Beziehungsfähigkeiten zeichnen Linien bis in die Gegenwart.
„Ein Klapps hat noch niemandem geschadet!“, „Kinder müssen parieren!“, „Lass es einfach weinen, hört schon irgendwann auf!“, „Babys dürfen nicht verwöhnt werden!“ oder als Erwachsene: „Sei nicht so empfindlich!“, „Reiß Dich zusammen, andere machen (…) schließlich auch!“, „Dat war hier schon immer so!“, „Wer hier faul ist bekommt halt kein Geld!“, „Ersaufen sollen se da im Mittelmehr – allesamt!“, „Psychisch krank? Hab Dich mal nicht so!“ Dazu kommen Methoden wie z.B. Entzug der Aufmerksamkeit und Liebe, Ignoranz, Manipulation zum eigenen Vorteil, Missachtung von Bedürfnissen, Interessen, ja sogar des Menschen selbst bis hin zu physischen Übergriffen (…)

Fühl öfter mal in Dich hinein! Berühre Dein inneres Kind mitfühlend. Fühlt es sich richtig an, was um Dich herum erzählt wird und passiert?

Wenn sich gewalt- und diskriminierungsvolle Denk- und Verhaltensweisen für Dich richtig anfühlen, sollten wir hier nochmal tiefer eintauchen.

Das alles kommt nicht einfach so aus dem Nichts. Es ist entstanden aus der Generationsübertragung vieler gewalt- und diskriminierungsvoller Denk- und Verhaltensmuster, die sich im Elternhaus oder anderen erziehungsberechtigten Konstellationen zeigen, in Institutionen des Kindergartens, der Schule, der Ausbildung, des Studiums, des Arbeitsmarktes, in Freundeskreisen – einfach überall, wo Menschen zusammenkommen und miteinander interagieren. Die bis heute darum aufgebaute Erziehung, Bildung und Sozialisation bringt emotional-mitfühlend-beeinträchtigte Menschen hervor, Menschen die zum Teil wiederum gewaltvoll agieren. Neben den Einflüssen dieser Generationsübertragung ist es bestimmt auch nicht besonders förderlich, dass wir uns inmitten einer neoliberalen Manier des Höher, Besser, Schneller – alles rund um Wettbewerb, Äußerlichkeiten und Gewinnmaximierung befinden.

Oft bemerken wir es gar nicht, verstehen nicht warum Menschen zu uns den Kontakt abbrechen, wir so Familienangehörige oder Freunde verlieren, warum unser Unternehmen immer wieder mit großer Fluktuation zu tun hat. Warum Menschen nicht bleiben. Und auch wenn wir nicht persönlich betroffen sind, gibt es doch viele Betroffene, Übergriffe und Diskriminierung – man muss nur die Medien anschalten. All dies betrifft Dich und mich, diese Gesellschaft in der wir leben und deren Haltungen, Werte und Normen, die wir aktiv mitgestalten.

Wir sind alle Teil des Ganzen – sind gewaltausübende Menschen und Betroffene. Wir müssen hinsehen, bei uns selbst und bei anderen, wir müssen es benennen und nach friedvollen Umgangs- und Auflösungsmöglichkeiten suchen!

Kommen wir nochmal zurück zu dem jüngsten Skandal rund um den Kinder- und Jugendpsychiater M. Winterhoff, der im übrigen bis heute weiterhin praktizieren darf. Also zu den von vielen Menschen akzeptierten und gewaltverherrlichenden Umgangsweisen in unserer heutigen Zeit.

Da viele Menschen denken, dass diese übergriffige und gewaltvolle Haltung nichts mit Ihnen zu tun hat und ich als Beraterin für gewalt- und diskriminierungsarme Umgangsweisen gerne auch unangenehme Sensibilisierungsarbeit übernehme, stelle ich Dir nun folgende Frage:

Frag Dich in diesem Sinne doch mal, inwiefern Du eine Spaltung der Gesellschaft durch die Covid-Maßnahmen befürwortest oder nicht. Befürwortest Du Sanktionierungen für Menschen, die keine Maske tragen (wollen/können) oder die sich nicht impfen lassen (wollen/können)? Befürwortest Du, dass diese Menschen ihre Arbeit verlieren? In diesem Zuge vllt. sogar Wohnung, Haus oder ähnliches? Bringst Du diesen Menschen innerlich oder auch nach außen Missachtung entgegen?

Deine Antwort darauf wird Dir einen Hinweis darauf geben, wie gewaltvoll Du selbst in Deinem Charakter geprägt bist – allein durch Deine aufkommenden Gefühle und Gedanken – ganz ohne Ausreden, einfach die nackte Wahrheit. Es zeigt auf, inwiefern Du emotionales Leid von sanktionierten Menschen noch erahnen, spüren und mitfühlen kannst, inwiefern Du Dich in andere Menschen hineinversetzen kannst oder willst.

Aus menschenrechtlicher Perspektive: Ausschluss, Diffamierung und soziale Sanktionen ggü. Menschen, die keine Maske tragen oder sich nicht impfen lassen wollen/können, aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen, ist bzgl. der Unantastbarkeit der Würde eines Menschen, der Persönlichkeits- und Körperintegrität, des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit ein sehr gewalt- und diskriminierungsvolles Denken und Verhalten. Die Geschichte zeigt mahnende Beispiele auf bzgl. unterschiedlichster direkter und indirekter psychischer und physischer Zwangsmaßnahmen – auch durch soziale Sanktionierungen.

Das hört sich nicht gut an? Das fühlt sich nicht gut an?
– Ja, vor allem für Betroffene.

Das Gewaltspektrum ist vielfältig! Wir können es auf jede andere Situation übertragen…
Dabei fängt es immer an mit „nichts sehen“, „nichts hören“ und „nichts sagen“.

Also wieviel Johanna Haarer und Michael Winterhoff steckt noch in Dir?
Zu wie viel Übergriffigkeit und Gewaltausübung bist Du bereit?

In dem Sinne allen eine schöne neue Woche mit ganz vielen gewalt- und diskriminierungsarmen Umgangsweisen…

Eure Maya

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..