
Beitrag von Sammy
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Oder auch: Wie ich Trauma und Uni unter einen Hut bekomme.
Es ist paradox. Vor ca. 6 Wochen fingen meine Semesterferien an. Hinter mir lag ein vergleichsweise entspanntes Semester… was nicht heißt, dass es wirklich entspannt war. Oder zumindest nicht, dass ich entspannt war.
Die ersten beiden Wochen der Ferien hatte ich große Probleme in den Ferien „anzukommen“. Mein Nervensystem und mein ganzer Körper waren noch total im Anspannungszustand.
Im Leistungsmodus. Ich wachte früh auf, war gleichzeitig aber total unausgeruht. Regelmäßig am Tag überkam mich ein kleiner Panikanflug, dass ich vielleicht doch einen Kurs verpasst haben könnte.
Ja, dieses Muster kenne ich:
Raus aus der bekannten Struktur. Einer Struktur, die mir einige Monate vermeintliche Sicherheit und Stabilität gegeben hat. Alles war durchgeplant. Aufstehen, Frühstück, Uni, Arbeit, Doktorarbeit, Sport, lernen…kaputt ins Bett fallen.
Jap…wem kommt’s bekannt vor?
…der Preis dafür: das Gefühl leistungsfähig zu sein, einen Plan zu haben, Struktur zu haben.
Im Gegensatz dazu fühlten sich die Semesterferien fast wie eine Art Kontrollverlust an.
Bis ich in den Ferien wirklich angekommen war, dauerte es.
Es musste erst einmal in meinem Kopf ankommen, dass ich jetzt erstmal frei von der Uni habe und
somit ein ziemlich großer Time-Slot am Tag frei wurde.
Frei für schöne Dinge, die ich mir jetzt „erlauben“ konnte.
Damit ich nicht von 100 auf 0 in ein Loch fiel und Platz für einen Depressionskick wurde, habe ich mir trotzdem in solchen Zeiten angewöhnt, immer eine gewisse wohltuende Routine zu etablieren. Zum Beispiel trotzdem zu einer festen Uhrzeit aufzustehen, für meinen Nebenjob arbeiten zu gehen und explizit Zeit für Dinge einzuplanen, die mir gut tun.
Jetzt 4 Wochen später:
Das kommende Semester steht in nicht einmal in einer Woche vor der Tür. Am Montag geht es wieder los. Der Stundenplan ist geplant, die Sachen schon so gut wie zurechtgelegt. Den ersten Collegeblock habe ich auch schon gekauft.
Und jetzt ist da eine neue Anspannung.
Ich bin gefühlt gerade erst in den Ferien angekommen. Ich genieße den Raum, den ich für einige Dinge zur Verfügung habe. Genug Raum, um alles was ich machen möchte und muss, an einem Tag unter einen Hut zu bekommen. Und dabei sogar noch durchatmen zu können und am Ende des Tages noch Energie zu haben und vor allem auch Zeit und Raum für mich zu haben.
Jetzt ist da die Ansgt, diese Zeit und den Raum wieder zu verlieren. Diese „neue“ Art der Kontrolle wieder abzugeben und umzuswitchen in einen neuen Alltag.
Ich schaue mir meinen Stundenplan an und suche nach freien Stunden.
Wann schaffe ich es, an meiner Doktorarbeit zu schreiben?
Vor allem, wann kann ich zum Sport gehen?
Wie bekomme ich regelmäßiges Essen mit diesem Plan vereinbart?
Wann muss ich aufstehen und wann ins Bett gehen, um einigermaßen ausgeschlafen zu sein?
Wann schaffe ich es, dann auch noch zu lernen?
Werde ich Zeit für Freund:innen finden? Wie oft?
Und wann und wo finde ich Zeit für ein bisschen Selfcare, Yoga und Meditation?
Puh… gefühlt bin ich jetzt schon gestresst von dem Semester, obwohl es nicht einmal angefangen hat.
Anstatt Freude auf coole Dinge, die ich lernen werde, Kommiliton:innen, die ich wiedersehen darf und Vorfreude auf all die Erfahrungen, die ich machen darf, fühle ich Anspannung, Angst, Unsicherheit, Stress.
Ehrlich gesagt, find ich das ziemlich traurig.
Ich sehe natürlich, dass es lediglich ein Ausdruck meines Hirns ist, das nach möglichst viel Sicherheit und Stabilität strebt.
Veränderung ist immer unbequem und war oft „gefährlich“. Denn Veränderung bedeutete bisher nicht immer Sicherheit. Eher im Gegenteil.
Ich merke, dass ich das Bedürfnis nach Halt verspüre. Danach, dass mich einfach jemand in den Arm nimmt und sagt:
„Alles wird gut, du schaffst das“, oder: „Du musst nichts leisten, um geliebt zu werden“, oder: „Du bist sicher, dir kann nichts passieren“.
Das fatale daran ist nur:
Dieser „Jemand“ wird nicht kommen.
Denn dieser „Jemand„, der mir das im Hier und Heute sagen kann, bin ich selbst.
Ja okay, ganz genau genommen kann mir das natürlich jemand Anderes sagen. Doch im Gefühl ankommen würde es vermutlich nicht.
Also zurück zu mir:
Ich darf hier erkennen, dass all die Gefühlsanteile in mir, Ausdruck meines inneren Kindes sind, die da getriggert werden und laut schreien, aus Angst vor Unsicherheiten, vor Kontrollverlust und vor allem:
Vor richtig großem Schmerz.
Ich darf erkennen, dass meine „dysfuktionalen“ Strategien und Strukturen, die ich im Hier und Heute aufgebaut habe und an denen ich anhafte, sowie die Vermeidung von Veränderung und so weiter, lediglich dazu dienen, mich zu beschützen.
Dies zu erkennen hilft mir dabei, es liebevoll zu betrachten und anzunehmen.
Ja, vielleicht sogar ein bisschen stolz darauf zu sein, wie krass mein Hirn einfach funktioniert und
mich bisher immer so gut beschützt hat, sodass ich bis heute überlebt habe.
Aber ich darf auch erkennen, dass ich diese Strategien meines Hirns jetzt nicht mehr brauche.
Ich darf erkennen, dass ich heute erwachsen bin. Das mir nichts passiert, auch wenn ich „locker“ lasse.
Ich darf erkennen, das ich selbst entscheiden kann, wie ich mein Leben gestalte.
Ich darf flexibel sein. Ich darf Strukturen und Routinen durchbrechen und ich bin trotzdem sicher,
geliebt, wertvoll und beschützt.
Ich merke, dass es am Ende irgendwie immer darum geht.
Kaum habe ich mir all diese Erkenntnisse und neuen Glaubenssätze in Erinnerung gerufen, merke ich, wie ich Distanz zu meiner Gedankenspirale bekomme und wieder klare Gedanken fassen kann.
Eine Distanz und eine Klarheit, die mir dabei hilft, mich der „Möglichkeit“ von „Flexibilität im Alltag“
und einem „Ich lasse es auf mich zukommen“-Denken, zu öffnen.
…wow, das ist anstrengend. Jedes mal wieder.
All diese Gedankenprozesse kosten mich echt viel Energie.
Energie, die ich vermutlich für schönere Dinge nutzen könnte..
..naja wobei, was gibt es schöneres als Heilung?..
Du bist richtig, genau so wie du bist!
Deine Sammy.