Eine Freundin hat mir in dieser Woche wieder Mal davon erzählt, wie sie zu ihrer Behinderung ausgefragt wurde – weil sie eine Maskenbefreiung hat. Als wenn das nicht schon genug wäre, musste sie sich dann noch einige Ratschläge anhören, welche Möglichkeiten es denn noch so gäbe nebst einer eng anliegenden Maske (als wenn sie sich darüber noch nie Gedanken gemacht hätte…). Als dann noch herauskam, dass sie nicht geimpft ist, ging das Ganze noch weiter. Was sie denn noch bräuchte, damit sie sich impfen lassen würde. Alles mit sehr verständnisvollem/r Ton, Mimik, Gestik – und doch eigentlich nur eins – übergriffig und ABLEISTISCH!
Und die Person, mit der sich meine Freundin unterhielt, war wieder aus der linken Szene unserer Stadt. Ich schreibe das, weil mir und anderen Menschen mit Behinderungen das und mehr in den letzten Jahren schon oft passiert ist. Und gerade Menschen aus der linken Szene, die aufgeklärt und sensibilisiert sind in Bezug auf Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie usw., haben hier immer wieder so viele nicht sichtbare Flecken in Bezug zum Ableismus.
Ich war viele Jahre in der linken Szene aktiv und kenne mich daher mit einigen Haltungen und Meinungen innerhalb dieser aus. So ist es z. B. vollkommen klar in der linken Blase, dass Menschen mit Rassismuserfahrungen nicht detailliert ausgefragt werden zu ihren Erfahrungen oder dass Ihnen eine Verantwortung für ihre Erfahrungen zugeschrieben wird untragbar, auch das geben von Ratschlägen ist zutiefst verpönt. Oder in den Bereichen Sexismus, Homophobie, Transphobie usw. ist es vollkommen klar, dass eine Transperson nicht zu vorherrschenden Definitionen von binär, nonbinär, agender, pan oder ähnlichem ausgefragt wird. Es herrscht bei sehr vielen Personen in dieser Szene das Kredo: Wenn Du etwas wissen willst, informiere Dich zuerst selber, z. B. im Internet, in Foren, in Wikis, lies Erfahrungsberichte, suche nach Influencer*innen in diesem Bereich. Denn Menschen mit Erfahrungen in den Bereichen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie usw. sind nicht die Erklärbärchen für andere Menschen. Diese haben ihr Schicksal und damit genug zu tun – da müssen sie sich nicht auch noch ständig damit konfrontiert sehen, anderen Menschen frei zugängliche Informationen zu erläutern.
So viel erstmal dazu.
All das hat seine Bedeutung, ich mag das, ich unterstütze das, ich lebe das.
Na ja, für viele Menschen der linken Szene hört diese Haltung aber leider bei Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen auf. Zu sehr denken sie – gerade in den Zeiten des Framings der Querdenker*innen – dass diese nicht sichtbaren Sachen da in den Menschen mit Behinderungen vielleicht ja doch nur gespielt sind oder evtl. ja bestimmt gar nicht so schlimm sind, irgendwas anderes dahinter steckt oder einfach noch nicht die richtige Methode oder Therapie gefunden wurde, damit es eben doch alles besser geht – vor allem mit Maske tragen und impfen.
Und so müssen Menschen, wie meine Freundin und ich, uns seit vielen Monaten, nun fast 2 Jahren, anhören wir seien unsolidarisch oder wenn doch noch Verständnis vorgespielt wird, ne Menge zu all möglichen Verbesserungsvorschlägen anhören und wie wir uns denn doch noch an das Ideal anpassen könnten. Wenn wir jedoch dann in den Erklärbärmodus wechseln und erläutern, warum wir keine Maske tragen, keine Impfung haben usw. dann erhalten wir entweder den Querdenker*innen Stempel (weil sie wohl einfach nicht mehr wissen was sie noch sagen sollen) oder es herrscht Stille. Das fühlt sich gut an, denn dazu kann man einfach nichts weiter sagen – außer eine Person ist selbst davon betroffen.
Was für Menschen mit Erfahrungen aus den Bereichen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie usw. gilt – sollte auch für Menschen mit Behinderungen – auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen gelten!
Wir als Betroffene haben unsere Gründe! Betroffene brauchen niemanden, vor allem niemanden ohne diesbezügliche Erfahrungen und Erkrankungen, die ihnen die Welt und wie man sich darin zu verhalten hat erläutern!
Menschen mit psychischen Behinderungen müssen seit zwei Jahren schlimme Erfahrungen machen – und es interessiert so gut wie niemanden – nicht die linke Szene, keine Politiker*innen, Krankenhäuser oder andere Behörden!
Vor ca. 2 Jahren entwickelte ich das erste Mal Aufklärungsmaterialien zu den Einschränkungen mit denen Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen leben müssen. Diese schickte ich an viele Politiker*innen (z. B. Herrn Madsen und Herrn Bockhahn), an Behindertenbeauftragte, an Firmen / Unternehmen, Schulen usw. Andere Betroffene und ich verteilten diese Informationsmaterialien in Briefkästen und von Hand zu Hand. Der Slogan war und ist „Solidarisch durch die Corona-Pandemie“. Wir als Betroffene erhielten kaum Rückmeldungen dazu, nicht von Politiker*innen, nicht von Behindertenbeauftragten.
Und obwohl diese Flyer und Informationsmaterialien bereits ein Jahr im Umlauf waren im letzten Herbst, wurde ich in linken Läden weiter des Ladens verwiesen (so wollte man mir und meinem Kind z. B. kein Eis in einem hippen Szeneladen verkaufen, da man Maskenbefreiungen dort grundsätzlich nicht anerkennt).
Und nun, in diesem Jahr, kommt die linke Szene daher mit ihrem Demoslogan „Solidarisch durch die Pandemie“ und steht seit ein paar Monaten jede Woche in der Stadt, um laut ihre Meinung kundzutun, wie unsolidarisch Menschen ohne Maske und Impfungen sind. Oft sehe ich bei diesen Demonstrationen, dass alle Beteiligten eine Maske tragen – gibt es bei diesen Demonstrationen keine Personen mit Maskenbefreiungen oder trauen die sich da einfach nicht hin? Personen aus diesen Gruppierungen gehen immer wieder demonstrativ, wenn auch vollkommen alleine und weit und breit niemand neben Ihnen, mit einer Maske an mir oder anderen Demonstrierenden ohne Maske vorbei und schauen zum Teil auch noch abschätzig oder vorwurfsvoll. Als wenn das Tragen einer Maske ein Zeichen der Solidarität ist und alle die keine tragen wollen oder können gehören halt in das andere, das unsolidarische Lager. Und jetzt kommt nicht mit „Na Menschen mit Behinderungen sind damit ja nicht gemeint!“ – als wenn man diese auf der Straße erkennt, vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen. Es ist toll, wenn Menschen gesundheitlich in der Lage sind Masken zu tragen oder bereit sind sich zu impfen – aber es ist vor allem eins: eine privilegierte Perspektive.
Also justmy2cents – einfach mal den Kopf aus der Blase nehmen, sich über Lebenswelten anderer Menschen informieren und die riesigen für viele nicht sichtbaren Flecken im Bereich der Diskriminierungsdimension Ableismus aufdecken.
Und weil die Nachforschung zu all den Hintergründen immer noch sehr schwierig erscheint, hier noch Mal ein paar Erläuterungen zu den Lebensweisen von vielen Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen:
Für viele Betroffene ist ein Lockdown nicht einfach ein Lockdown – er kann einen lebenswichtigen Tagesrhythmus durcheinander bringen.
Für viele Betroffene ist eine Kontaktbegrenzung von Personen, nicht einfach eine vorübergehende Isolation, sondern das Tor in die nächste Depression, Psychose o. ä.
Für viele Betroffene ist eine Maskenbefreiung, die einzige Möglichkeit, um überhaupt einkaufen zu gehen. Es gibt Betroffene, die (körpernahe) Erfahrungen gemacht oder körperliche Reaktionen ausgebildet haben, die dazu führen, dass keine Begrenzung um Mund und Nase vorhanden sein darf. Wenn dies doch geschieht, führt dies zu z. B. Atemnot, Schwindelgefühlen, Herzrasen, Hyperventilation, Übelkeit, Erbrechen, Depersonalisations- oder Derealisationsgefühlen oder Ohnmacht. Menschen mit psychischen Behinderungen und diesen Symptomen erhalten eine ärztliche Befreiung von der Maskenpflicht. Dennoch werden die ärztlichen Atteste zum Teil nicht ernst genommen, als gefälschte Dokumente dargestellt oder es wird gar nicht danach gefragt und Betroffene werden zeitgleich vorverurteilt.
Dazu kommt, dass Menschen mit Maskenbefreiungen in vielen psychiatrischen Kliniken nicht aufgenommen werden, von einigen Ärzten und Therapeuten nicht mehr behandelt werden – und all das, obwohl es eine gesetzliche Verordnung zur Anerkennung von Maskenbefreiungen gibt.
Für viele Betroffene ist der Gang zu einer Teststation eine solche Hürde, dass sie das Haus erst gar nicht verlassen: viele unbekannte Menschen zu treffen, lange in Schlangen zu stehen oder das einzuführende Stäbchen als eine unzumutbare Annäherung an den eigenen Körper, zumal etwas in eine Körperöffnung gesteckt wird (und dies bereits als selbstverständlich von vielen angesehen wird)… Für viele Betroffene ist der Aufbruch zu einem Treffen, einem Meeting o. ä. bereits mit so großem Stress versehen, dass diese zusätzliche Hürde der vorherigen Besuche von Testzentren für eine Teilhabe dazu führt, dass Betroffene noch seltener das Haus verlassen als zuvor schon.
Für viele Betroffene ist eine Impfung nicht einfach eine Impfung. Denn viele Menschen mit Behinderungen haben eine Medikamentenkarriere hinter sich mit enormen Erfahrungen an Nebenwirkungen. Oft nehmen Betroffene Jahre bis Jahrzehnte regelmäßig Tabletten und leben mit Nebenwirkungen. Sie sind sensibilisiert und eine Nebenwirkung ist auch nicht einfach eine Nebenwirkung, wie bei vielen nicht Betroffenen, die danach wieder ganz einfach in ihren Alltag zurück finden. Für Betroffene kann eine Nebenwirkung ein Abbruch der Alltags- und Beziehungsstrukturen sein, die Monate bis Jahre nicht wieder herzustellen sind. Nebenwirkungen können ganz neue psychische Symptome hervorrufen oder sogar das Krankheitsbild ändern oder erweitern.
Für viele Betroffene ist der seit vielen Monaten vorherrschende Ausschluss aufgrund von 3G und 2G+ eine so große Belastung, dass die Krankheitsbilder sich bei allen Betroffenen, mit denen ich über dieses Thema gesprochen habe, verschlechtert haben.
Für viele Betroffene ist es schlimm, dass sie sich zu all diesen Erfahrungen nun auch noch in all möglichen Kreisen als Querdenker*innen beschimpfen lassen müssen.
…
Schreib mir, wenn Du betroffen bist und denkst hier fehlt noch etwas… oder schreib es in die Kommentare…
Wichtiger Eintrag, drum gerebloggt. 🙂
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💛
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Wichtiges Thema.
Ich weiß das dieses Thema zu Zeit auch auf dem Youtube Kanal von DisDing diskutiert wird /würde und da auch um Erfahrungsberichte gebeten wird um diese zu sammeln und an dementsprechende Stellen weiter zu leiten. Stichwort : Nicht Anerkennung der Maskenbefreiung und Verweigerung von medizinischen / therapeutischen Behandlungen. usw.
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Vielen Dank! Da werde ich mich mal hinwenden! 🙂
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