Manchmal bin ich ja froh, wenn mir nicht jeder auf Anhieb ansieht, was mit mir los ist. Mit psychischen Erkrankungen ist das so eine Sache. Ich habe bereits viele Jahre in der Psychiatrie verbracht, d.h. in Kliniken, Tagesstätten, ambulanten Gruppentherapien etc. Meine bisherige Erfahrung ist, dass es etliche Menschen gibt, die von psychischer Krankheit betroffen sind, denen man auf irgendeine Art und Weise ansieht oder anmerkt, dass sie anders sind.
Nicht so bei mir.
Ich habe schon oft von Menschen, die nicht wussten was mit mir los ist, nachdem ich meine Erkrankung kurz erwähnt habe, Sätze gehört, wie z.B. “aber mit dir kann man ja normal reden” oder “du bist doch intelligent…”, als wenn das Eine mit dem Anderen zu tun hätte.
Ich besuche hier in Luzern eine Tagesstätte, ein Angebot, das Aktivitäten und Austausch für Betroffene von psychischer Krankheit anbietet. Kürzlich saß ich dort in der Cafeteria und wurde von einer anderen Besucherin angesprochen, die ich noch nie gesehen habe. Zuerst fragte sie mich ob ich vom Team sei. Als ich verneinte, meinte sie dann, ich sähe aber gesund aus. Dann wollte sie unverschämterweise auch noch wissen, ob ich Medikamente nähme und in Therapie sei. Wohlverstanden, ich kannte die Frau nicht, habe sie zum ersten Mal gesehen. In solchen Momenten bin ich einfach sprachlos, völlig überfordert und sehe nur noch rot. Am liebsten hätte ich diese Frau angeschrien und ihr mein ganzes inneres Schlamassel vor die Füße geworfen. Ich finde eine solche Bemerkung, an einem Ort wie diesem, einfach total verletzend, grenzüberschreitend……..
Ein paar Angebote von Vielen in der Tagesstätte sind begleitete Ferien. Es gibt einige zur Auswahl, z. B. Wanderferien, Ferien am Meer, Wellnessferien oder Entdeckungsferien an irgendeinen Ort in der Schweiz. Während meiner Zeit, in welcher ich nun die Stätte besuche, habe ich noch an keinen Gruppenferien teilgenommen. Das hat einen ganz einfachen Grund: es überfordert mich. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen wirkt Reisen und die damit einhergehende Ortsveränderung destabilisierend auf mich. In einer neuen Umgebung, die mir nicht vertraut ist, fühle ich mich zu wenig sicher. Ich habe auch große Mühe mit der Verarbeitung von Reizen, insbesondere akustischen, aber auch visuellen. An einem mir fremden Ort purzeln neue Reize auf mich ein und ich fühle mich total reizüberflutet, was für mich Stress im höchsten Grad ist. Dann ist da die Reise in der Gruppe mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Man ist ja miteinander im Gespräch (und verbringt die Reise nicht schweigend, so wie das für mich gut und erträglich wäre), heißt, dass ich bereits bei der Ankunft komplett reizüberflutet bin und anfange zu dissoziieren.
Die vergangenen 15 Jahre war ich genau 2-mal im Ausland in den Ferien (am Meer), und beide Male war es eine ziemliche Katastrophe und nur Stress. Seither mache ich vor allem Ferien in der Zentralschweiz irgendwo am Vierwaldstättersee (also in meiner Wohnregion). Wenn’s gut kommt schaffe ich es alle 2 bis 3 Jahre mal für ein paar Tage ins Tessin, aber das ist eine Gegend, die ich einigermaßen gut kenne.
Dann gab es da noch die Situation in der Tagesstätte mit den Wanderferien. Ich wurde darauf angesprochen, ob ich nicht mal Lust hätte mitzukommen. Früher (also bevor es zum inneren Bruch kam) habe ich gerne und viel Sport gemacht. Es war für mich eine Art Überlebensstrategie oder ein Skill, meinen Körper zu spüren. Für eine gewisse Zeit hatte es auch diese Wirkung. Aber irgendwann nicht mehr. Da war es einfach nur noch ein verzweifeltes Rennen, als wenn ich meinem eigenen inneren Schmerz davonrennen wollte. Dann, irgendwann kam der Moment wo mein Körper nicht mehr mitmachte. Bei der kleinsten Anstrengung hatte ich einen Puls von 150 Schlägen pro Minute (manchmal hatte ich sogar einen Ruhepuls der so hoch war). Meine Beine übersäuerten schon beim Treppensteigen und mein Körper fühlte sich an wie Blei. Es wurde unmöglich, überhaupt irgendeine Art von Sport zu machen. Außer Spazierengehen blieb mir nichts anderes mehr. Und so ist es bis heute geblieben, dieser Zustand ist ein Dauerzustand. Das ist aber auch wieder etwas, das man mir nicht ansieht und auf manche Menschen mag ich vielleicht immer noch einen sportlichen Eindruck machen – so wurde ich angefragt wegen der Wanderferien.
Und ich musste sagen, tut mir leid aber 4 bis 5 Stunden wandern pro Tag ist für mich nicht möglich. Und es hat nicht nur damit zu tun, nicht mehr trainiert zu sein. Die Physiotherapeutin in der Klinik, in welcher ich meine Traumatherapie mache, meinte, dass meine Muskeln im ganzen Körper in einer sehr hohen Anspannung sind, zum einen von der Erstarrung, zum anderen aber auch weil sie so immer fluchtbereit sind falls Gefahr droht. Das heißt, dass die Muskeln bei der kleinsten körperlichen Anstrengung beginnen zu übersäuern, das wiederum macht es mir unmöglich, mir eine gewisse Fitness wieder anzutrainieren.
Wenn ich solche Situationen erlebe, wie die eben beschriebenen, sind das Momente, in denen ich eine große innere Einsamkeit verspüre. Ich realisiere, dass niemand weder in mich hinein sehen noch mich spüren kann.
Solche Situationen gibt es auch in der Therapie immer mal wieder. Der Platz, in welchem ich mich am ehesten gesehen und verstanden fühle. Derzeit habe ich eine Therapeutin, die wirklich Weltklasse ist. Dennoch kommt es vor, dass sie etwas sagt und ich spüre, wie es mir einen ganz feinen inneren Stich gibt. Oder dass ich etwas sage und mich ihre Reaktion irritiert. Ich hoffe, dass das Schreiben mir helfen kann, diese Momente der inneren Einsamkeit ein wenig zu lindern.

Karin
E-Mail: kasarizo@yahoo.com
Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung und Traumafolgestörungen aufgrund eines Bindungstrauma sowie psychischem und physischem (außerfamiliären) Missbrauch.
Dissoziative Störung (Depersonalisations- und Derealisationssyndrom) / Rezidivierende depressive Störung / phasenweise atypische Bulimie und selbstverletzendes Verhalten / weitere Verdachtsdiagnosen über die Jahre waren eine Borderline-Persönlichkeitsstörung und Bipolar-II-Störung
Ich bin 1976 in der Zentralschweiz (CH) geboren. Mit 20 Jahren habe ich mit Therapie begonnen, noch bevor die erste klinische Diagnose vorlag (allerdings waren zu diesem Zeitpunkt schon einige Symptome über mehrere Jahre hinweg spürbar), weil ich nicht mehr ausgehalten habe, was ich in mir herum trug und was über all die Jahre zu Hause vorgefallen ist. Kurz darauf war ich am Anfang einer Essstörung, dann folgte die erste depressive Episode. Nach eineinhalb Jahren Therapie und Psychopharmaka dachte ich, jetzt ist gut. Ich begann zu arbeiten und habe all die Symptome, die wieder auftraten ignoriert, obwohl ich teilweise kaum noch stehen konnte. Mit 30 folgte der erste Klinikaufenthalt. Die darauffolgenden Jahre war ich praktisch jährlich in der Klinik wegen Depressionen. Mit Mitte 30 wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass womöglich Traumata der Grund sind, warum sich mein Zustand nicht verbessern wollte. 2019, nach bald 20 Jahren Psychotherapie, begann ich dann mit einer spezifischen stationären Traumatherapie, d.h. ich gehe alle paar Monate für ein paar Wochen in die Ostschweiz, um mit dieser Therapie, neben der ambulanten Therapie, weiterzumachen. Was mir gut tut: Spaziergänge in der Natur, Spiritualität, Musik, ein gutes Buch…
Ich möchte darüber berichten was es heißt, mit Traumafolgestörungen leben zu müssen, wie es ist, wenn kleinste Dinge im Alltag kaum bewältigbar sind, wie es ist sich durch das Bindungstrauma verursacht völlig behindert zu fühlen in sozialen Kontakten und dass bei Traumafolgestörungen der ganze Mensch (Psyche, Körper und Kognition) beeinträchtigt ist.
Gerne möchte ich aber auch davon erzählen, was mir Kraft und Antrieb gibt immer wieder weiterzumachen und dass es sich lohnt, weiterzumachen.
Nach 40 Jahren des Schweigens was mit mir ist und bei uns zu Hause war, möchte ich beginnen diese Fesseln zu sprengen und erreiche hoffentlich damit auch andere Menschen, die von Traumata betroffen sind.
Schön, dass du darüber sprichst, dass man psychische Erkrankungen nicht ansieht. Ich kenne das viel zu gut. Wie oft man sich irgendeine Scheiße anhören muss, nur weil man nicht dem Klischee entspricht… Danke dir!
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Darf ich fragen was genau ich unter inneren Bruch verstehen kann? Das ist eine starke Metapher aber ich habe das Gefühl da steckt auch ein Prozess dahinter.
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