
Beitrag von Tina
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Dieser Text war ursprünglich eine E-Mail, welche ich Mitte der Woche an meine Therapeutin geschickt habe. Nun habe ich ihn aber wieder überarbeitet, weil sich so viel bei mir gerade tut. Es ist, als würde ich gerade mein Leben komplett umkrempeln. Zwischendurch fühlt es sich so an, als stünde ich wieder kurz davor in ein depressives Loch abzurutschen, aber da ist auch noch etwas anderes, vieles eigentlich, was mich davor bewahrt. Ich beginne gerade auf meinem eigenen Boden zu gehen, die Angst begleitet mich nach wie vor, doch es gelingt mir gerade sie wieder mehr an die Hand zu nehmen. Sie mit mir mitzunehmen und ihr nicht bloß auszuweichen. Irgendwie bin ich wieder mehr bereit sie auszuhalten und nicht, wie zuvor oft, unter ihr einzuknicken, denn eigentlich – ist sie nicht mein Feind.
Begonnen hat dieser Prozess zum Teil mit dem Auto, da ich fast sechs Jahre nicht mehr gefahren bin, musste ich viel erneut lernen. Die Angst war auch hier anwesend, vor allem das erste Mal auf der Autobahn. Ich glaube, daher kamen die rätselhaften blauen Flecke auf meinem Oberarm, weil ich vor Anspannung am Zwicken und Quetschen war. Warum es mich so sehr unter Anspannung versetzt auf der Autobahn zu fahren liegt daran, weil ich ein Problem mit Situationen habe, die „ausweglos“ erschienen, die mir nicht genügend „Fluchtmöglichkeiten“ bieten, wo ich nicht einfach weg kann und so (funktional) ausharren „muss“. Das bietet dann Raum für (phobische) Ängste. Sie springen einfach an, wie ein Schalter, der sich in meinem Gehirn umlegt, bevor ich überhaupt begreife warum. Auf Autobahnen, da kann ich nicht einfach stehen bleiben und Angstzustände sind dort, ich sage mal, ungünstig. Ich weiß, dass diese Ängste nicht mehr „rational“ sind, aber dieses Angstgehirn steckt noch in alten Zeiten fest, deshalb nehme ich sie trotzdem ernst und bilde in Gedanken Ideen und Möglichkeiten, die beruhigen. Eine Flasche Wasser im Getränkehalter lindert zudem meine Anspannung, denn Wasser trinken, so simpel es auch ist, half mir schon immer, um wenigstens meinen Magen zu besänftigen. Es ist eine Herausforderung, die ich gerade gerne annehme. Sie lohnt sich so sehr und mit jedem mal wurde die Angst weniger. Mittlerweile fahre ich halbwegs entspannt, auch auf der Autobahn, alleine.
Es ist ein Neuanfang, irgendwie, von so vielem. Und ein bisschen fühlt sich das so an, wie kurz vor der Reise vor nun bald 5 Jahren. Ich habe damals, soweit ich weiß, zwar nicht so viel empfunden, trotzdem gibt es Ähnlichkeiten. Denn da war so viel, was ich damals zurückgelassen habe, so vieles, was ich beendet habe und ich wusste auch nicht, welche Menschen mir danach bleiben werden. So ist es auch heute. Vieles hat sich verändert und so viele Menschen sind in meinem Leben verblast. Relevanzen haben sich verschoben, ganz stark. Es fühlt sich alles so neu an und die Welt sieht plötzlich völlig anders aus. Das Licht ist ein anderes geworden. Nicht zuletzt auch wegen dem Auto, weil ich wieder mehr teilnehmen kann im Leben da draußen. Selbstständig. Da gibt es nun Wege, Möglichkeiten und Orte, die mir zuvor verborgen geblieben sind. So viele schöne Plätze und ich habe das Gefühl, als würde ich gerade damit beginnen mich endlich zu verwurzeln. Eigentlich erstmals überhaupt wieder Wurzeln zu schlagen, nach dem ich so viele Jahre energisch meine Wurzeln aus allen Böden gerissen habe. Vielleicht beginne ich nun auch damit mich endlich zu Hause zu fühlen, mir mein eigenes Leben einzurichten und da spielt dieses kleine Auto eine so große Rolle. Plötzlich kann ich die Gegend und Wien nun endlich einmal richtig erkunden und kennenlernen. Wohnen verliert damit auch ein Stück weit mehr seine Zweckmäßigkeit. Es ist nicht mehr nur ein Rastplatz oder ein praktischer Platz, von dem aus man an andere Orte gelangen kann. Nun wird es mehr zu einem Gefühl, das hat etwas Schönes. Dieses Ankommen, bei mir und an diesem Ort. Aber es ist für mich auch gleichzeitig ein Loslassen und ein Abschiednehmen von so vielem, vorrangig von Beziehungen und Annahmen, die mich zuvor an Fäden im Leben gehalten haben. Es war kein freiwilliger Entschluss diese Fäden durchzuschneiden und damit wieder auf meinen eigenen Grund zu fallen. Es ist auch ein bisschen so, als würde ich dadurch aufhören Gast in den Leben der anderen zu sein. Jetzt habe ich wieder mein eigenes Leben, wo ich mich im doppelten Sinne wieder selbst ans Steuer setze. Es ist noch etwas karg und einsam hier und manchmal überschwemmt mich diese Einsamkeit so sehr, dass vor lauter Traurigkeit kaum ein anderer Gedanke zu fassen ist. Aber vielleicht ist es auch okay immer noch hin und wieder depressiv zu sein, so wie es auch okay ist, sich von Zeit zu Zeit einsam zu fühlen. Trotzdem, ich vermisse so viel gerade in diesem Leben. Ich vermisse vor allem die Eltern, die ich nie hatte. Manchmal würde ich gerne unter Tränen schreien “Mama, bitte bleib bei mir!” Aber es gab nie eine Mutter, die bei mir war. Bei ihr musste ich immer die Mutter für mich und die Erwachsene für uns beide sein. Manchmal würde ich sie gerne vermissen, doch dann fällt mir wieder ein, dass es nichts gibt, was ich je an ihr vermisst habe. Da gibt es einfach nichts und das macht mich dann noch trauriger, deshalb vermisse ich nun wieder meine Therapeutin (es ist gerade Urlaubszeit). Nochmals verstärkt dadurch, weil bestimmte Menschen diese Rollen, die mir Halt, Stabilität und diese ganz bestimmte Beständigkeit gaben, verloren haben. Ich vermisse auch den Partner, den ich noch nie hatte und die Freunde, die ich dachte zu haben. Vermutlich nennt man das dann eher Sehnsucht, denn mein Vermissen gilt kaum noch Menschen, die ich kenne oder einmal kannte. Die einzigen, die mir gerade fehlen sind jene, die ihre Plätze in meinem Leben nicht verändert haben. Da wird es bloß Zeit sie wiederzusehen. Zusätzlich bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass die Liebe und Verbundenheit zu meinem Papa Risse bekommt. Die Erzählungen von meiner Schwester haben an etwas gerüttelt. An einer Fassade, die nur schön gemalt wurde, um das Hässliche dahinter zu verbergen. Auch davon beginne ich mich nun zu verabschieden.
Alles fühlt sich gerade nach einem völlig neuen Lebensabschnitt an, in dem ich gerade wanke zwischen der Einsamkeit, mit ihren Depressionserscheinungen und dem Glück, das durch die neugewonnene Freiheit und Unabhängigkeit entstanden ist. Meine Welt wurde durch das Auto wieder offener und mein Leben dadurch wieder weniger begrenzt. Ich bin dabei alte Freundschaften wieder zu beleben und es sieht tatsächlich danach aus, als könnte mein Auto ein weiterer „sicherer Ort“ werden. Die Einsamkeit ist dadurch schon ein ganzes Stück leichter geworden. Das alles ist etwas, das ich mir gegeben habe, den Halt, eine Form von Sicherheit und eine gewisse Stabilität, welche mir erst kurz zuvor verloren gingen. Dadurch habe ich das Gefühl mein eigenes Fundament auf meinem ganz persönlichen Boden zu bauen. Eines, das wirklich auf die Beschaffenheit des Bodens passt. Ich habe in der letzten Woche so viele Unternehmungen gemacht, so viel gelebt, wie das schon so lange nicht mehr möglich war. Wandern bei M., schwimmen in der L. und den Ausblick auf der H.-Straße genossen. Diese neue Art von Verankerung im Leben ist unabhängiger von der Gunst anderer geworden. Das fühlt sich gut an und es ist erleichternd erneut zu erfahren, dass ich mir selbst wieder mehr vertrauen kann. Dem Körper und nun langsam auch wieder meinem (Angst-)Gehirn. Ich habe auch gelernt für mich gesunde Grenzen zu setzten und es ist befreiend endlich damit aufhören zu können mich überall hin anpassen zu müssen. Mich zu verbiegen an Menschen, mit denen es einfach nicht passt. Ich trauere trotzdem noch manchmal um die Verluste, natürlich tut es weh und ich möchte nicht immer stark sein. Das hat seinen Preis. Ich bin müde vom Leben.
Es ist einfach alles so anders geworden. So viele Türen haben sich für mich geschlossen, doch da scheinen auch plötzlich ganz viele neue Möglichkeiten aufzutauchen und meine Welt ist endlich wieder ein ganzes Stück größer geworden. Ich habe das Gefühl die Person, die ich damals auf der Reise war, wieder in mir gefunden zu haben, nur dass es mich heute nicht mehr weit weg von allem zieht, sondern es hat mehr die Gestalt einer Rückkehr angenommen. Eine Reise nach Hause zu mir, sozusagen. Zusätzlich habe ich eine Einladung als Interviewgast in einem Podcast, der über sexuellen Missbrauch aufklärt, bekommen. Das ist auch wahnsinnig aufregend und schön. Außerdem scheint mir ein Klinikaufenthalt auf einer Traumastation bevorzustehen. Nach einem Jahr Wartezeit hatte ich nun endlich mein Aufnahmegespräch. Gut war es, aber vermutlich vergeht bis zur tatsächlichen Aufnahme fast noch einmal so viel Zeit, doch ich freue mich schon.
Ja, manchmal in den letzten Tagen fühlt es sich sogar so an, als hätte ich mehr gewonnen, als das ich verloren habe.
(Das Foto entstand Anfang 2016 in Wanaka, Neuseeland auf meiner Reise)
das klingt alles wirklich sehr sehr gut und ich freu mich für dich. es ist bestimmt auch für dich toll zu sehen dass du fortschritte machst und sich dein leben verändert ❤
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Danke dir🧡
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