Ich laufe, laufe, laufe, und wieder schlucke ich die Tränen runter…
Irgendwann geht es nicht mehr, sie laufen einfach nur noch an meinem Gesicht herunter…
Ich schaue um mich, hoffentlich sieht mich niemand…
Was denken die Menschen wohl, wenn Sie mich so sehen…
Ich komme gerade im Park an und ein Mensch auf dem Fahrrad sieht mir im Vorbeifahren hinterher…
Ich bleibe stehen, drehe mich zu einem Busch und dann… kann ich doch nichts mehr zurückhalten…
Es ist 12 Uhr, ich mache gerade meinen gewohnten (eigentlich schnellen) Mittagsspaziergang – Kopf frei bekommen und mehr Bewegung für mein Leben im derzeitigen Homeoffice. Sonst eine so tolle Zeit, auf die ich mich jeden Tag freue…
Doch heute ist es anders.
Nun stehe ich im Wald und weine.
Heute ist mein Geburtstag – 37 Jahre.
Wie bin ich nun hier her gekommen.
Der Vormittag lief doch eigentlich ganz gut.
Nach dem Aufwachen ein wundervolles Ständchen von meinem Kind und dem Vater meines Kindes, ein schöner Frühstückstisch und sogar eine kleine Überraschung wartete auf mich. Alles so schön. ❤
Auch während des Vormittags in meiner Weiterbildung, im Kontakt mit den Menschen, fühlte ich mich gut.
Und doch, ab und zu ein kleines Klopfen hinter einer Tür ganz tief unten in meinem Schattenland.
Dann das alltägliche Mittagswalkout, 30 Minuten schnelles Gehen durch einen nahelegenden Park – für mein ganzheitliches Wohlbefinden. Auch dieses Mal wieder mit Musik, aber leider dieses Mal weniger leicht und beschwingt. Denn heute wird es mir schwer ums Herz, wieder und wieder. Ich drücke die Gefühle weg. Altbekannt die Gefühle und dazugehörende Bilder. Die Bilder kommen und gehen, unaufgefordert, aufdringlich. Und dann im Park, kann ich sie nicht mehr verdrängen, sie sind einfach da und ich lasse sie zu…
– Dieses Jahr habe ich sogar bis zum Mittag durchgehalten.
So viele Bilder von so vielen Menschen, die mich in meinem Leben über kürzere oder längere Zeit begleitet haben – an meinen zurückliegenden Geburtstagen. All die Menschen, von denen niemand, keiner mehr da ist. Meine Geburtstage gehörten früher zu den schönen Tagen. Denn an diesen Tagen waren sogar die Menschen, die mich zu gerne mit Abneigung überhäuften, sowas wie nett. Aber vor allem erinnere ich mich an die paar Menschen, deren Liebe ich gespürt habe.
Bilder von Uromi und ich auf ihrem Schoß, eines der Babybilder, auf denen ich breit lächle. Bilder von Großeltern hier und Großeltern da. Von ihnen wurde ich bepuschelt. Dann meine Mutter, mein Vater, mein Stiefvater, seine ganze Familie, die verschiedenen Frauen meines Vaters, deren Kinder und Familien. So viel schwarz, weiß, grau, dunkles blau, tiefes, sooo tiefes grau… Und dann… aber auch Freude… Freunde von früher. Glück und Liebe.
Ein Zeitraffer von 20 Jahren Geburtstagen zieht an mir vorbei.
…
Und dann wieder heute.
Wieder ein Geburtstag ganz ohne Familie.
Im Moment habe ich außerdem nur wenige Freunde, was auch ok ist.
Auch wenn mein Verstand sagt: Ist schon in Ordnung so, „Das wolltest Du so!“, sagt mein Herz heute etwas anderes. Große Vermissung. So wie man halt gewaltvolle Menschen vermissen kann – das können, glaube ich, nur Menschen nachvollziehen, die gewollt oder ungewollt gewaltvolle Beziehungen zu nahestehenden Menschen durchlebt haben, mit allen Facetten. Und wenn wir dann aus ihnen herausgekommen sind, balancieren wir auf einem Drahtseil, froh darüber befreit zu sein und traurig um die Nähe, die wir verloren haben, die wir als wohlwollend, liebend interpretieren mussten, um zu überleben.
Also trage ich euch heute alle in meinem Herzen. Zwiegespalten – wie so vieles in meinem Leben. Ihr, die mich umarmt und geküsst habt, denen ich wichtig war, mit euren glänzenden Augen beim Anblick meines erfreuten Lächelns. Und ihr, die mit dem kleinen Lächeln an diesem Tag über all die Gewalt hinwegtäuschen wolltet – im Angesicht der Besonderheit meines Geburtstages. Deshalb war dies immer so ein besonderer Tag, weil ich genau an diesem Tag immer gut behandelt wurde. Oder anders gesagt, an diesem Tag weniger Verachtung und Misshandlung erfahren musste.
Nun, seit ein paar Jahren, ist die Illusion der Realität gewichen.
Und das Ganze fühlt sich an wie eine Tragödie, in der zwei geliebte Werte um den einzig vorhandenen daseinsberechtigten Platz ringen, nach deren Ringen ein Wert untergehen muss, damit der andere bestehen bleibt. Mit der Entscheidung für den Wert der gewaltarmen und gesünderen Lebensweise, musste der Wert des Familienlebens bei mir leider gehen. Beides zusammen war nie vereinbar miteinander. Und an Tagen wie diesen, genauso wie an Weihnachten und anderen feierlichen Tagen, trauert meine Seele um den Verlust meiner Familie – ob ich will oder nicht.