Therapieerfahrungen


Beitrag von Maya
⏱ Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten
Beitragsbild von Anna Shvets on Pexels.com

Intro

Folgende Artikel gehören zu dieser Reihe:

  1. Therapieerfahrungen
  2. #EMDR: Wer Wie Was?
  3. #EMDR: Der Brunnen
  4. #EMDR: Die Schlucht – Umgang mit Scham in der Therapie
  5. #EMDR: Der Weg
  6. #EMDR: Die Schattenmonster
  7. #EMDR: Der Abfall
  8. #EMDR: Die Schmetterlinge


Ich habe in meinem Leben schon einige Therapieformen kennengelernt – dazu gehören u.a. drei Klinikaufenthalte, heute jedoch möchte ich euch mal an meinen Erfahrungen mit niedergelassenen Psychotherapeut*innen und Ärzt*innen teilhaben lassen.

Vor 16 Jahren fing ich mit einer „Verhaltenstherapie“ an, kurz nachdem ich das erste Mal aus einer psychiatrischen Klinik kam. Die Erfahrungen waren mehr als mäßig. Ich weiß, dass der Erfolg einer Therapie mit den jeweiligen Therapeut*innen und der Genauigkeit diagnostizierter Leiden steht und fällt. Nach Monaten, in denen mich mein Therapeut mit Hausaufgaben zugeschüttet, angeschrien und mir mit voller Überzeugung gesagt hat, ich solle doch bei der Bundeswehr bleiben und Kinder bekommen (obwohl ich dies absolut nicht wollte) verließ ich seine Praxis und kehrte dort nie wieder ein. (Dieser Therapeut ist für seine sexistische Haltung sogar deutschlandweit bekannt geworden. Dies könnt ihr z.B. hier nachlesen.)

Vor 12 Jahren machte ich dann eine mehrjährige „tiefenpsychologische Therapie“. Diese half mir zumindest schon etwas weiter als die Verhaltenstherapie. Wir betrachteten nicht nur mein derzeitiges Verhalten mit entsprechenden Änderungswünschen, sondern meine Familiengeschichte. Meine Therapeutin half mir dabei die Familienstrukturen und mich darin neu zu reflektieren und zu ordnen. Das half mir beim Aufbau von Selbstbewusstsein und einem weltlichen Blick auf meine Familie. Ich schaffte es mich und meine Familie eingebettet in die Gesellschaft, in familiären Vergleichen und mit der gewaltvollen Charakteristika zu sehen. Es zählte nicht mehr, dass ich in meiner Familie als wertlos dargestellt wurde und der Glaube, dass dies wahr war, sondern nur noch die harten Fakten. Kognitiv gesehen war diese Therapie ein Segen. Auch wenn ich weiterhin komplexe Symptome behielt und unter physischen sowie psychischen Einschränkungen litt.

Erst 2018 wurde ich durch eine Bekannte auf komplexe PTBS und ihre Entwicklung aufmerksam. Es ist nicht so, dass ich nicht schon früher davon gehört und gelesen hätte. Ich habe 2002 mein erstes Buch über die Therapie der posttraumatischen Belastungsstörung von A. Maercker gekauft. Dennoch, komplexe PTBS bezogen sich in der Literatur vor allem auf Betroffene von sexuellem Missbrauch, Katastrophen, politische Gewalt oder Unfällen. Von den gravierenden Folgen einer jahrelangen Vernachlässigung und emotionaler Gewalt ist bis heute eher in Kleinbuchstaben, am Ende einer Ausführung, zu lesen, wenn überhaupt. Ja, es hat sich was getan, dennoch bringen viele Menschen diese Formen der Gewalt nicht in einen Zusammenhang mit komplexen PTBS bzw. bestreiten gar, dass es sich um Gewalt handelt. Wie also sollten die Mediziner*innen mir in den letzten 20 Jahren diese Diagnose stellen, wenn sie selbst in der Fachliteratur nicht thematisiert wird. Daher wurden meine Symptome behandelt, immer und immer wieder, vorzugsweise aus dem Spektrum Affektiver Störungen. Es fing an mit der atypischen bipolaren Störung, da sie sich nicht erklären konnten, wie ich innerhalb eines Tages so viele Höhen und Tiefen gleichzeitig haben konnte. Diese „Tiefen“ stellten sich jedoch in den letzten beiden Jahren im Rahmen meiner Traumatherapie als Erschöpfungszustände nach Reizüberflutungen heraus. Diese Wahrnehmungsstörung, Reize nicht filtern zu können, wird auch im Rahmen von AD(H)S behandelt. Diese Störung hat sich in meiner Kindheit über viele Jahre aufgrund der Notwendigkeit ständiger Achtsamkeit vor gewaltvollen Übergriffen entwickelt.

Weiterhin wurden folgende Diagnosen im Laufe der Jahre gestellt: Depressionen unterschiedlichster ICD-Kennungen, Persönlichkeitsstörungen und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom bis hin zum Verdacht des Asperger-Syndroms. Viele verschiedene Mediziner*innen mischten immer wieder mit, verschrieben immer wieder andere Tabletten, weil die vorherigen irgendwie nicht wirkten und ließen sich von ihren gestellten Diagnosen nicht abbringen. Eine Ärztin sagte mit sogar einmal, als ich entschieden meine Bedenken zur Diagnose Depressionen mit hoher Medikation äußerte und mich weigerte weiter diese Tabletten zu nehmen, dass sie mich nicht weiter behandelt, wenn ich mit der Diagnose nicht mitgehen würde. Die Meinungshoheit war dieser Ärztin sehr viel wichtiger, als ihre Diagnose nochmal zu überdenken. Letztendlich kam wirklich heraus, dass ich nicht unter „unruhigen Depressionen“, wie sie es nannte, litt. Aber wen interessiert das schon, wenn Patienten jahrelang dazu gezwungen werden Medikamente zu schlucken, da Ihnen sonst angedroht wird, dass Sie nicht weiter behandelt werden. Nun ja. Obwohl meine Familiengeschichte von Anfang an klar auf dem Tisch lag, musste ich selbst Nachforschungen anstellen, selbst entsprechende Mediziner*innen befragen. Da es sehr wenige Ärzt*innen und Psycholog*innen gibt, die sich auf komplexe PTBS und Traumafolgestörungen mit entsprechender Behandlung spezialisiert haben, dauerte es sehr lange eine Therapie zu erhalten. Ich habe aber schon mitbekommen, dass es in anderen Landesteilen von Deutschland etwas anders aussieht – Mecklenburg-Vorpommern hängt damit, wie mit vielen anderen Sachen, wie zu erwarten, stark hinterher.

Nach einem Jahr Wartezeit konnte ich 2019 eine Traumatherapie beginnen, bei der einzigen psychotherapeutischen Praxis in meiner Stadt, die sich mit Traumata beschäftigt. Schon in den ersten Stunden der Traumatherapie, die mein Therapeut als Körperpsychotherapie durchführt, war klar, dass die verschiedensten Symptome psychosomatische Erscheinungen einer komplexen PTBS sind. Zuerst gingen wir die Erlebnisse in meiner Kindheit und Jugend durch, um dann die Grundlagen für eine erfolgreiche Therapie zu legen: Ich musste bei mir bleiben können und mich nicht ständig im Außen in Habachtstellung befinden, wie bereits weiter oben angedeutet. Dies ist ein typischen Symptom, das mit einem enormen Energieaufwand und in dessen Folge mit Erschöpfungszuständen einhergeht. Es entwickelt sich in der Kindheit, weil von Gewalt dauerhaft bedrohte Kinder, zum Selbstschutz, eine ständige Beobachtung und das emotionale Abtasten der Umwelt entwickeln, um sich vor tatsächlichen und vermeintlichen Gefahren frühzeitig schützen zu können. Dies brennt sich in der Kindheit, da über einen langen Zeitraum entwickelt, in den Körper ein, es wird eine „normale“ Verhaltensweise, die irgendwann gar nicht mehr als Schutzmechanismus wahrgenommen wird. Diese starke Wahrnehmung meiner Umwelt habe ich bis heute und kann ich zum Teil gar nicht mehr abstellen: Ich höre und sehe in einem großen Spektrum, d.h. ich nehme sehr viele Reize wahr. Das kann ich nicht ändern – aber ich kann meine Konzentration ändern, und das haben mein Therapeut und ich in den ersten Monaten geübt.

Zuerst sollte ich lernen zu spüren, wie ich mich in einer Interaktion fühle, ob ich mich überhaupt spüre. Und wie sollte es anders sein, ich bemerkte ziemlich schnell, dass ich bei Interaktionen nur bei der anderen Person, oder dem was uns umgab war, so als wenn ich meinen Körper verlasse für diese Zeit. Mein Inneres fühlte sich taub und leer an. Ich war nur Kopf, Kognition, Geist. Irgendwann konnte ich es benennen: Ich war in zwischenmenschlichen Situationen sehr angespannt und fühlte mich „unbewohnt“. Es ging immer darum zu ergründen, was die gegenüberstehende Person wollte, was ihr Anliegen ist und dies konnte ich hervorragend analysieren – durch Mimik, Gestik, Augenkontakt, Analyse von Erzähltem in Verbindung mit der Körperhaltung und dem Verhalten.

Ein Buch, das diese Entwicklung, Erscheinung und diese Fähigkeiten von komplex traumatisierten Menschen sehr gut beschreibt, ist: „Das Drama des begabten Kindes und die Suche nach dem wahren Selbst“ von Alice Miller. „Begabt“ bezieht sich hier auf die ausgebildete außerordentliche Fähigkeit des Kindes und späteren Erwachsenen andere Menschen „zu lesen“, d.h. Gedanken, Verhalten und Intentionen von Menschen frühzeitig zu erkennen. In der Kindheit und Jugend ist dies in einem gewaltgeprägten Elternhaushalt lebensnotwendig – im späteren Erwachsenenalter führt dies jedoch zu vielen Problemen: z.B. Reizüberflutung und immer wiederkehrender starker Erschöpfung.

Mein Therapeut führte über viele Wochen folgende Übung mit mir durch, mit der ich in den Kontakt zu mir selbst kommen sollte: Wir begannen damit, dass ich die Augen schloss und mich selbst spüren sollte. Wenn dies nicht funktionierte ging mein Therapeut eine Achtsamkeitsübung durch, in der er einzelne Körperregionen aufzählte, auf die ich meine Konzentration legen und hineinspüren sollte. Dies ähnelte der progressiven Muskelentspannung. Wenn ich mich im Bereich meines Bauches spürte, was sich durch ein Wohlgefühl, Ruhe und einer Art Abgeschottenheit von der Umwelt zeigte, sollte ich meine Augen öffnen. Mein Therapeut saß ca. einen Meter von mir entfernt, mir gegenüber. Wir sagten nichts und schauten uns nur in die Augen. Die Aufgabe bestand nun darin, dass ich jedes Mal, wenn ich spürte, dass ich mich wieder verlasse, die Augen wieder schließen musste. Ich sollte mich wieder sammeln, wieder zu einem Gefühl von mir selbst zurückkehren, und dann ging das Ganze von vorne los. In den ersten Wochen konnte ich meine Augen kaum eine Sekunde aufhalten bzw. meinem Therapeuten in die Augen schauen. Ich hatte das Gefühl, dass es wirklich lange dauerte bis ich ihm in die Augen schauen konnte, ohne dass ich ausschließlich bei ihm war mit meiner Aufmerksamkeit. Bildlich beschrieben, habe ich in dieser Zeit gelernt mich dem Sog des Außen zu entziehen. Ich habe gelernt einen eigenen inneren Sog zu erschaffen, mich selbst als wichtig anzunehmen und innerlich stark zu positionieren, dass ich es mit meiner Aufmerksamkeit wert bin bei mir selbst zu bleiben. Das hat viel verändert. Ich fühle mich wieder bewohnt, wenn ich draußen, wenn ich mit anderen Personen zusammen bin. Ich schenke Menschen nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit, sondern bleibe damit auch bei mir selbst. Damit kann ich aus meinem Bauchgefühl auch besser entscheiden was ich will und was nicht. Ich fühle mich öfter als Mensch mit eigenen Bedürfnissen, die auch wichtig sind.

Neben dieser Grundlage, die eine Traumatherapie für mich erst möglich machte (da man dabei ganz viel bei sich sein muss), lernte ich eine Entspannungsform, die keiner mir bisher bekannten ähnelte. Mein Therapeut erklärte mir, dass sich Menschen mit komplexen traumatischen Erfahrungen und Folgesymptomen nur sehr schwer mit üblichen Entspannungsmethoden regenerieren können, die ausschließlich kognitiv gesteuert werden.  Dies traf auf mich auch zu. Da komplexe traumatische Erfahrungen sich im physischen Körper manifestieren, z.B. in den Muskeln, und dort eine Art Eigenleben, unabhängig von unseren Gedanken, entwickeln, muss also eine ganzheitlichere Methode her, die den physischen Teil des Körpers mehr beansprucht. Also erläuterte er mir die Methode des „Neurogenen Zitterns“ oder „Tension and Trauma Releasing Exercises“ nach David Berceli. Ursprünglich wurde diese im Tierreich beobachtet und dann in Krisengebieten angewendet. Das Zittern wird durch den Körper innerhalb der Übung von ganz alleine produziert und nicht kognitiv gesteuert. Dieses Zittern führt dann zu einer tiefgehenden Entspannung, einer Beruhigung des Nervensystems, der Muskulatur usw.

Im Folgenden möchte ich euch die Durchführung beschreiben:

1. Grundhaltung:
– auf den Rücken legen,
– Arme unter den Kopf oder neben Körper legen,
– Füße aneinander in Richtung Gesäß führen und Beine dann nach Außen fallen lassen,
– Füße berühren sich dann an den Fußsohlen

2. Anspannung
– in bisheriger Position bleiben
– dabei nun das Becken anheben (Beine und Füße bleiben in der Grundhaltung)
– eine Minute halten

3. Zittern
– nach einer Minute Becken wird ablegen
– eine Minute entspannt in der Ausgangslage liegen bleiben (Zittern kann hier schon erscheinen)
– Knie dann ein paar Zentimeter aufeinander zu bewegen und dann anhalten, zwei Minuten verweilen (Zittern kann stärker werden)
– Knie wieder ein paar Zentimeter aufeinander zu bewegen und dann anhalten, zwei Minuten verweilen (umso weiter die Knie aufeinander zugehen, umso stärker kann das Zittern werden)
– Knie auf diese Weise immer weiter zusammenführen, bis sie sich irgendwann berühren.

Diese Übung kann jederzeit beendet werden, indem die Beine gerade ausgestreckt werden. Bitte bei Schmerzen die Übung beenden. Es kann zu Muskelkater kommen infolge der Übung. Eine ähnliche Videobeschreibung findet ihr hier (YOUTUBE-Link), die nicht ganz meiner Übung gleicht.

Auf diesen Grundlagen begannen mein Therapeut und ich nach einem halben Jahr mit der EMDR-Methode zur Behandlung meiner Traumafolgestörungen.

„EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, was auf Deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet. Dr. Francine Shapiro (USA) entwickelte diese Psychotherapieform zur Behandlung von Traumafolgestörungen Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Mit der EMDR-Methode können Traumafolgestörungen bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen behandelt werden. In Deutschland wird EMDR etwa seit 1991 angewendet. 2006 hat der wissenschaftliche Beirat für Psychotherapie EMDR als wissenschaftlich begründete Psychotherapiemethode anerkannt.“

EMDRIA Deutschland e.V.

Was genau ich in meinen EMDR-Sitzungen erlebt habe und inwiefern sie mir geholfen haben, erläutere ich in der Reihe #EMDR, die in der nächsten Woche hier beginnen wird…

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