Was bisher geschah…


Beitrag von Ivy
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TW Corona, Emetophobie, Trauma, SVV, Albträume, Depression Agora- und Soziophobie, Panikattacken, Dissoziation

Am 18.03.2020 sagt Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache zum Corona-Virus:

„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Und ich bekomme abends auf der Couch mit meinem Mann eine Panikattacke. Der Boden wird mir unter den Füßen weggezogen und in meinem Magen entsteht ein Fallgefühl. Mein Puls rast, mir wird schlecht. Eine Katastrophe, die die ganze Welt betrifft. Keine Möglichkeit zu flüchten, kein Entkommen.

Zu diesem Zeitpunkt bin ich schon mitten in einer depressiven Episode. Aber was Depression ist und was eine Panikattacke ist, das Wissen hatte ich damals noch nicht. Wir versuchen alle irgendwie mit der neuen Situation, der neuen Realität zurecht zu kommen. Und Albträume, die ich schon immer hatte, werden immer mehr. Nachts wache ich schweißgebadet auf, weil eine auswegslose Bedrohung nicht nur im Außen ist, sondern auch die im Innern getriggert wird. Ich versuche weiter zu machen.

Gerade erst umgezogen und bereit für Neues kommt der Lockdown

Zum Jahreswechsel war ich gerade erst in eine neue Stadt gezogen. Kannte außer meinem Partner niemanden. Habe einen neuen Job in der neuen Stadt angefangen, weil ich in Kontakt kommen wollte, weil ich ankommen wollte. Tja… Am ersten Tag im neuen Job richten wir mir alles fürs remote Arbeiten ein. In 1,5 Jahren Anstellung sollte ich drei Mal im Büro sein. Fortan bin ich hauptsächlich allein zu Hause. Und darin war ich noch nie gut. Habe sonst versucht das möglichst zu vermeiden. Ich hatte keine Worte dafür, aber ich wusste, dass es mir nicht gut tut und gefährlich ist. Dass ich dann irgendwann in eine Art Starre falle und nichts mehr tue. Auch nichts mehr für mich.

Fast ein ganzes Jahr habe ich das durchgehalten. Immer wieder Panikattacken. Immer wieder alte Ängste, die hochkommen. Angst in der Öffentlichkeit, Angst vor Menschen, ein ganz komisches Bedrohungsgefühl, Angst, dass die anderen meine Angst sehen, paranoide Gedanken. Dann schließlich im Februar 2021 der totale Zusammenbruch. Irgendwas ist mit meiner Psyche. Ich gehe zum Hausarzt, bekomme eine Überweisung und auch schnell einen Termin bei einer Therapeutin.

Verdacht auf depressive Episode

Ich fühlte mich wie ein Versager, machte mir Vorwürfe. Warum bin ich so wenig krisenresistent? Retrospektiv ist das in meiner Biografie immer wieder zu beobachten. Immer wieder Phasen in denen ich überfordert war, in denen ich Auswege gesucht habe in der Flucht nach vorn – wegziehen, verreisen – und wenn das nicht ging – Schlaf, Alkohol, Drogen, selbstschädigendes Verhalten, Promiskuität, hochriskantes Verhalten.

…es ist nicht nur eine Depression

Schnell wird in der Therapie klar, dass es nicht nur eine rezidivierende depressive Störung ist, sondern mehr. Meine Therapeutin beobachtet noch. Wir versuchen Biografisches aufzuarbeiten. Und wieder breche ich zusammen. Aus dieser Zeit fehlt mir viel Erinnerung. Ganze Sitzungen der Therapie, stellenweise ganze Wochen. Mein Mann spricht über etwas, was wir in der Zeit gemacht haben, zeigt mir Fotos. Ich kann mich nicht erinnern. Ich hinterfrage es aber auch nicht. Es überfordert mich. Mir wird alles zu viel. Ich gehe zurück zu selbstverletzendem Verhalten und entwickle eine Essstörung. Meine Therapeutin schlägt einen Klinikaufenthalt vor. Im September 2021 gehe ich stationär.

Das Thema Trauma steht im Raum

Das Thema Trauma steht im Raum. Ich glaube nicht daran. Nicht für mich. Erinnerungen kommen zurück. Überrennen mich. Ich glaube vielleicht ein bisschen an Trauma. Ich fange an zu recherchieren, lese, schaue Videos. Und stoße auf den Traumaleben-Blog. Ich lese den Artikel von Maya „Traumadurchtränkter Tag“ (https://traumaleben.blog/2021/05/12/traumadurchtrankter-tag/) und fühle mich so verstanden, so verbunden, so viel weniger komisch, anders, fremd in dieser Welt. Ich bin erschüttert und erleichtert. So viel meines Erlebens wird hier geschildert. Erleben, von dem ich bis dahin nicht wusste, dass es nicht normal ist. Aber drüber gesprochen habe ich auch noch nie. Es war immer etwas, das ich mit mir selbst ausgemacht habe. So viel Scham schwingt da mit. Keiner will ein Sonderling sein. Aber das bin ich auch nicht. Ich bin traumatisiert.

Wenn ich mit meiner Arbeit auf Traumaleben nur einer anderen Person das Gefühl geben kann, gesehen zu werden und sich verbunden zu fühlen, dann hat es sich gelohnt. Wir müssen über unser Erleben reden. Und damit meine ich nicht, dass wir schlimme Geschichten austauschen müssen, sondern dass es hilft zu merken, dass andere ähnliches erlebt haben, die gleichen Symptome haben. So können wir ein bisschen mehr zusammen rücken und uns weniger einsam fühlen.

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